Usability-Höllenfahrt in der japanischen Oberklasse
Manchmal bringt es der Job des Usability-Experten mit sich, dass man auch mal mit einem Mietwagen durch die Gegend fährt. Und bei den Mietwagen hat man dann eine echte Chance, statt des kleinen Mittelklasseautos kostenlos ein Upgrade auf eine Staatskarosse zu bekommen, weil nichts anderes mehr da ist. Das ist prima.
Und so begab es sich letzte Woche auf dem Weg zur SCOPE|07, dass ich aus Angst vor dem immerwährenden Bahnstreik für die Strecke vom Flughafen Frankfurt bis nach Heidelberg lieber mal den Mietwagen nehmen wollte. Und ja, ich bekam ein Upgrade mit den Worten „Das wird Ihnen gefallen. 250PS“. Wow, klang super (V6 mit 3l Hubraum).
Ich setze mich also in diese Komposition aus Hartplastik, Leder und Edelholz und bemerke erstmal die Automatik. Naja, OK, gewöhnt man sich dran. Schlüssel gibt es auch keinen, stattdessen „Keyless entry„, d.h. man muss nur in der Nähe seines Auto stehen und schon ist es auf. Bestimmt in vielen urbanen Gegenden sehr sinnvoll, wenn denn der Taschenräuber nicht mehr auf eine rote Ampel warten muss.
Erstes Usability-Manköchen: Wohin mit dem Schlüssel? Während Benchmark BMW dafür eine entsprechende Halterung vorsieht, die nebenbei auch verhindert, dass jugendliche Insassen den Startknopf drücken, während man einsteigt, dachte man im japanischen Sindelfingen wohl eher daran, dass man den Schlüssel lieber gleich in der Tasche behält. Nunja…
Spätestens beim Abstellen des Fahrzeuges bin ich dann halb wahnsinnig geworden, weil es immer offen blieb (erst ein Reset per Motor AN/AUS ließ mich die „Lock“ Taste bedienen) und wenn ich nachsehen wollte, ob die M***-karre jetzt endlich zu ist, mir der Keyless-Entry wieder alles aufmachte. Steuerbarkeit ist hier das verletzte Prinzip.
Nun lief er also, und schön leise war er. Jetzt noch kurz das Navi programmiert und los gehts… Um es vorwegzunehmen, von jetzt an habe ich noch 20 Minuten gebraucht, bevor das Auto sich in Bewegung setzte.
Man kommt ja noch drauf, beherzt die „DEST“-Taste zur Eingabe des Zieles (Destination) zu drücken.
Und tatsächlich, ein Dialog öffnet sich und man kann eine Stadt eingeben, auch wenn der Dialog gerne erst die Straße wüsste. Usability-Mangel hier: Da die Tastatur bei der Straßeneingabe nur die Buchstaben einblenden will, zu denen es jetzt noch sinnvolle Straßennamen gibt, wüsste sie vermutlich auch gerne den Ort. So hat man eben alle Straßen Deutschlands zur Auswahl, bevor man zum Ort kommt (und die ebenso überflüssige wie unsinnige Anzeige, dass es 1313 Straßen unterschiedlichen Namens sind).
Doch so langsam kommt mein „Flow“ merklich ins Stocken. Wo ist die RETURN-Taste? Also wie bringe ich der Tastatur bei, dass ich fertig bin?
Usability-Katastrophe: Es gibt gar keine. Ich muss durch Zufall darauf kommen, dass ich unter „Liste“ noch einmal die eben eingetippte Stadt auswählen muss. Dort gibt es dann auch „OK“. Das hat mich diverse Haarpigmente und ca. 2 Minuten gekostet.
Bei der Straßenameneingabe wird es noch schlimmer, denn ohne die Return-Taste hat man auch keine Möglichkeit eine Hausnummer einzugeben. Nein, die „0-9“ Taste ist natürlich NICHT dafür geeignet. Wenn man die krude Idee mit der Liste mal raus hat (auch wenn das System zwar angeblich 20x Heidelberg aber dann auch wirklich nur einmal das Ziel Steingasse findet), findet man dann nach einigen Schritten auch die Hausnummereingabe (ganz woanders).
Doch nun wird es ganz traurig. Wenn man die Hausnummer eingegeben hat, erscheint das links gezeigte Bild mit den Pfeiltasten. Was will mir das sagen? Dass ich statt auf der Straße auch gerne im Gebäude landen will? Man kann den Zielpunkt damit ohne Rücksicht auf Bebauung und Befahrbarkeit wild herumschieben.
Nur eines fehlt: „Ja, ich will das Ziel haben.“. Früher nannten wir solche Tasten „OK“ oder „Zielführung starten“ oder „Start“ oder so. Hier? Sie können ja mal ein paar Minuten suchen, bevor sie weiterlesen.
„Hinzf.“ klingt zwar fast richtig, ist aber falsch. Das öffnet nur das gezeigte Fenster und die Möglichkeit, noch mehr Ziele „hinzuzufügen“ (Begriff passt sogar).
Aber wir starte ich die Routenführung? Wie gesagt, die „OK“-Tasten waren wohl gerade rar geworden und insofern war hier nun kein Geld mehr für so etwas banales.
OK, es ist auf dem linken Bild zu sehen (auch wenn hier der Dialog gar nicht mehr geöffnet ist). Rechts NEBEN dem Touchscreen gibt es neben der Taste „DEST“ auch noch mehr und man muss eben darauf kommen:
- Der Start der Routenführung ist nicht Teil der Zieleingabe
- heißt auch nicht wie „Ziel“ (DEST)
- sondern verbirgt sich hinter dem Button „MAP“
Nun würde man in einem Usability-Review vermutlich ziemlich schnell herausfinden, dass „Karte“ = „Karte anzeigen“ weit weg von „Ziel“ = „Zielführung starten“ ist, aber so etwas hat an diesem Auto vermutlich noch nie stattgefunden.
Was soll’s, jetzt läuft die Routenführung ja endlich. Wenn man mal darüber hinweg sieht, dass das Auto trotz seiner Preisklasse eine nur sehr ungenaue gyroskopische bzw. GPS-gestütztes Ortskenntnis hat (Warum sollte der Mietwagenparkplatz Frankfurts auch in einer Karte eines Mietwagens verzeichnet sein?), fragt man sich bei der Kartendarstellung ja schon, was mir wohl die gestrichelten Linien sagen sollen, oder wie ich einmal schnell die komplette Route gezeigt bekomme. „Karte ans.“ und „Route“ sind ganz falsch und der Rest brachte mich auch nicht weiter, obowhl eine Kollegin gewarnt hatte, die A67 zu meiden. Nun denn, dann eben in ein Navi vertrauen, das sich seit 15 Minuten gegen mich wehrt.
Auf der weiteren Fahrt fiel mir dann auch gleich die maximal unübersichtliche und überflüssige Darstellung aller Ausfahrten auf. Nein, nicht etwa solche, bei denen ich ausfahren müsste. Einfach alle… Darstellungsprinzip Klarheit bzw. Dialogprinzip Aufgabenangemessenheit sag ich da nur.
Ohne weitere Abbildungen: Ca. 500m vor dem Ziel erklärte mir das Navi dann, dass ich mein Ziel erreicht hätte. Dumm nur, dass da noch ein paar Straßen und Gebäude zwischen mir und dem Ziel lagen, welches ich nach einigen Ehrenrunden mit Navi, später Old-School anhand einer Anfahrt-Skizze aus dem Internet, doch noch erreichte. Das Navi hatte mich also bereits 30 Minuten gekostet und das bei einer Fahrzeit von nur 1h (ursprünglich geplante Fahrzeit).
Und wie oben schon angedeutet, ließ mich das Auto dann erst nochmal 5 Minuten nicht aus seinem Bann, weil es sich nicht abschließen ließ. Gut dass ich als gelernter Informatiker die alte Windows-Weisheit „Reboot is a repair technique“ noch kannte. Dann ging es.
Ich könnte mich jetzt noch über weitere Features auslassen, aber da ich in voller Fahrt keine Bilder machen konnte und dieser Blogeintrag eh schon zu lang ist, nur die Stichwortfassung:
- Geradeauslauf ist was für Weicheier: Meine Nobelkarosse schien ein ASS zu haben (Anti-Spur-System) und zog wahlweise nach rechts oder links, um dort mit der Leitplanke zu kuscheln.
- Dafür ist die Federung knackhart, so dass man insgeheim schon überlegt, wie lange das Auto wohl auf die Richtbank muss, wenn man einige Betonplatten-Fugen nacheinander 1:1 bis zum Dach durchfühlen durfte.
- Die Fehlermeldung „Lenkeinschlag zu groß“ verdient sicher auch eine lobende Erwähnung in einem Usability-Bericht. Auf so etwas ist bei BMW, Audi und Daimler bestimmt noch keiner gekommen.
- Dass beim Betätigen der Scheibenwaschanlage wiederholt das Fahrlicht ausging, ist eines der Features für das ich bei Tempo 160 auf der Autobahn einfach zu alt bin. Hätte ich Lichthupe und Scheibenwischer verwechselt, hätte es ja wenigstens noch heller werden müssen. Aber dunkler?
- Die schier endlose Liste von Beschädigungen bei der Übergabe des Mietwagens könnte man gehässig auch als Fanal für das gute Handling des Autos im Stadtverkehr deuten.
- Die Innenraumbeleuchtung ist zappenduster.
- Die Fenster vom Beifahrer lassen sich per Default nicht vom Fahrer aus öffnen (jaja, Sicherheitsfeature, kann man ausschalten). War blöd, als ich nach der Navipleite mal ganz klassisch einen Passanten nach dem Weg fragen wollte.
Und als abschließendes Usability-Lowlight dann noch diese spacige Zusatzkonsole. Da hatte ich meine Usability-Höllenfahrt endlich nach einem Tag hinter mir und wollte volltanken. Aber wo geht der Tankdeckel auf?
Neihein, ein Knopf in der Mittelkonsole wäre ein bisschen zu einfach, auch wenn die beiden Becherhalter dafür noch genug Raum ließen.
Stattdessen musste man erst eine zusätzliche Konsole ausklappen (siehe links) und dann dort von den 16 Elementen das richtige erwischen. Easy!
Fazit: BMWs iDrive hat ja vielleicht auch Macken und auch bei Audi und Daimler ist nicht alles Gold, aber vor DIESER Konkurrenz muss sich da keiner fürchten. Und sicher gibt es Automarken bei denen man dieses Mängel-Bündel akzeptieren würde, aber die produzieren nicht so weit östlich und kosten dann auch nur soviel wie das „Luxus-Paket“ des Japan-Mercedes allein.