Case Study: Wie können Industrie-Anwendungen von den Chancen der digitalen Vernetzung profitieren?

In unserem Arbeitsalltag werden wir mit vielfältigen B2B-Anwendungen in einem recht breiten Ausschnitt der Industrie konfrontiert – wir lernen, wie Techniker ganze Fußballstadien so verkabeln, dass auch bei Tausenden Besuchern jeder einzelne Fan Fotos vom Spiel in Echtzeit zu den Lieben nach Hause schicken kann.

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Wir stehen in Fabrikhallen und beobachten Arbeiter beim Bedienen riesiger Industriewaagen oder Presswerkzeuge. Wir untersuchen Bestrahlungsinstrumente und lernen, welche Arten von Sonden man für welche Teile des menschlichen Körpers benutzt.

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Wir lernen, welche Messwerte ein (guter) Optiker beim Anpassen einer neuen Brille ermitteln muss, damit die Gläser am Ende auch zu 100 % auf die Augen des Patienten passen (sogenanntes Videozentrieren).

 

Hochspezialisierte Industrieanwendungen – Fluch und Segen zugleich

Alle genannten Beispiele haben eine Gemeinsamkeit: sie sind technisch auf dem höchsten Stand – mit langjährigem, Ingenieurs-Know How werden hier Werkzeuge geschaffen, die Enormes leisten. So wird die tägliche Arbeit des Technikers, des Fabrikarbeiters, des Optikers vor Ort in seinem Arbeitsumfeld bestmöglich unterstützt.

In genau dieser Stärke liegt gleichzeitig aber auch die Herausforderung dieser Anwendungen. Sie sind lokal sehr zielgerichtet auf genau das Spezialumfeld ausgerichtet, in dem sie funktionieren müssen. Das heißt in der Praxis, dass es sich meist um Software handelt, die entweder auf den Spezialgeräten selbst (Pressmaschinen, Bestrahlungsgeräten, Industriewaagen …) oder als Desktop-Anwendung auf handelsüblichen Rechnern, an die spezielle externe Geräte angeschlossen sind, läuft.

Diese Isoliertheit bringt eine ganze Reihe von Nachteilen mit sich: die Einstiegshürde für potentielle Neukunden ist hoch, denn sie müssen entweder in direkten Kontakt mit einem der Spezialgeräte kommen oder sich die Software aufwändig als Demo auf den angeschlossenen Rechner herunterladen und installieren um ihre Vorteile kennenzulernen. Die Installation von Updates ist kompliziert. Oft müssen Updates manuell per USB-Stick in den Spezialgeräten eingespielt werden. Wie genau die Anwendung benutzt wird, bleibt für den Hersteller dabei oft ein Rätsel – die Art, Häufigkeit, Geschwindigkeit in der z.B. ein Optiker videozentriert, sind als Black Box für den Hersteller nicht einsehbar.

An genau diesen Problemen können die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung ansetzen und Abhilfe schaffen. D.h. was früher lokal im Optikergeschäft oder der Fabrikhalle errechnet wurde, läuft jetzt als skalierbare Webanwendung auf Servern beim Systemhersteller selbst oder sogar in externen Rechenzentren (der vielzitierten „Cloud“).

 

Praxisbeispiel Ollendorf Mess-Systeme: von der Kamerasäule zum iPad

Diesen Schritt ist auch die Firma Ollendorf Messsysteme mit uns gegangen. Die Videozentriersoftware visuReal, die früher auf einem lokalen Rechner, angeschlossen an eine Kamerasäule im Optikergeschäft lief, hat sich zu einer modernen Webanwendung entwickelt. Die komplexen Berechnungen der Parameter für die Brillenglasanpassung passiert in Echtzeit in der Cloud und gelangt kabellos auf das iPad in den Händen des Optikers.

Die Vorteile für Ollendorf Messsysteme und seine Kunden liegen dabei auf der Hand. Interessierte Neukunden können sich das System als kostenlose Demoversion aus dem Appstore laden und in Ruhe im eigenen Geschäft ausprobieren. Früher musste dafür ein Vertreter mit der meterhohen und kiloschweren Kamerasäule im Geschäft vorbeikommen oder die Optiker sich auf Messen selbst auf den Weg zum Hersteller machen.

Updates und neue Funktionen in der Webanwendung können direkt in der Cloud selbst vorgenommen werden, ohne dass auf jedem einzelnen der Endgeräte der Optiker ein Update eingespielt werden muss.

Und nicht zuletzt hat der Hersteller so erstmals eine Möglichkeit zu analysieren, wie häufig ein durchschnittlicher Optiker überhaupt videozentriert.

 

Mit dem richtigen Prozess zum optimalen Ergebnis

Um einen solchen – man kann schon sagen Paradigmenwechsel – erfolgreich durchzuführen sind einige wohldurchdachte Schritte notwendig. Ein reines Nachimplementieren der alten Software mit Webtechnologien ist dabei fast nie zielführend und ohnehin auf Grund der Komplexität der Anwendung ein so aufwändiges Unterfangen, dass es selten angewendet wird. Vielmehr sollte der Frage nach dem „was“ und „wie“ eine Frage nach dem „wer“ und „warum“ vorausgehen.

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Wir arbeiten dazu mit dem sogenannten „User Centered Design Prozess“ – also einem Prozess, der Nutzer in den Mittelpunkt stellt und so garantiert, dass das fertige Produkt auch „gebrauchstauglich“ ist. Der Nutzer muss also in seinem Kontext seine Ziele mit dem System effektiv, effizient und zufriedenstellend erreichen können (siehe dazu auch DIN EN ISO 9241 / Teil 210).

Dieser Prozess arbeitet mit insgesamt 6 iterativen Phasen (siehe Abbildung oben). Zunächst werden in einer gemeinsamen Planungsphase mit dem Kunden die Rahmenbedingungen abgesteckt (Zeit, Budget, Methodenauswahl). Danach folgt eine Phase, deren Ziel ist, den/die Nutzer bestmöglich zu verstehen. Hier spielt z.B. eine Rolle, wie die verschiedenen Nutzergruppen charakterisiert sind. Was wollen die Nutzer erreichen? In welchem Umfeld arbeiten sie mit dem System? Was behindert sie ggf. dabei?

Erst mit den Erkenntnissen daraus kann in der nächsten Phase spezifiziert werden, was das System überhaupt leisten muss. Nicht selten ergeben sich dabei überraschende Erkenntnisse. So hat z.B. der Schichtleiter, den nur am Tagesende interessiert, wie viele Werkstücke sein Presswerk über den Tag geschafft hat, eine gänzlich andere Anforderung an das System als der Techniker, der sich einloggt um Kräfte zu kalibrieren und so den Pressvorgang zu optimieren.

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse können dann erste technologische Entscheidungen getroffen werden. Auf Basis der Anforderungen an z.B. Verfügbarkeit und Ausgangsplattform beim Nutzer kann entschieden werden, mit welchen (Web)Technologien welche Bestandteile des Systems umgesetzt werden.

Ebenso kann auf dieser Grundlage begonnen werden, die Oberfläche der neuen Anwendung iterativ in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden und im Idealfall auch den Nutzern zu erstellen (Phase 4, „Gestalten“). Über Bleistiftskizzen, Wirframes bis hin zu ganzen Klickprototypen gibt es hier eine Vielzahl von Methoden für alle Geschmacksrichtungen.

Mit der Ausgestaltung des Produktes gehen im besten Fall direkt parallel verschiedene kleine und größere Usability-Tests einher (Phase 5, „Evaluation“). Dadurch wird immer wieder geprüft, ob die gesetzten Ziele mit dem aktuellen Weg erreicht werden können. Je früher das geschieht, umso schneller und kostengünstiger lassen sich etwaige Fehler und falsche Annahmen aufdecken.

So kann letztendlich in der 6. Phase die fertig gestaltete und erfolgreich evaluierte Oberfläche z.B. an die Entwicklung übergeben werden. Dabei kommen klassischerweise kommentierte Gestaltungsvorlagen, Styleguides o.ä. zum Einsatz.

 

Datenschutz: früh nach geeigneten Lösungen suchen

Parallel zur Entwicklung des neuen Systems müssen außerdem einige organisatorische und rechtliche Fragen geklärt werden, die bei der Vernetzung via Webtechnologien und der damit einhergehenden Bündelung von Daten und Informationen über den Nutzer und dessen Verhalten zwangsweise eine Rolle spielen. Hier treten z.B. immer wieder Fragestellungen des Schutzes von persönlichen Daten, des Kopierschutzes und des rechtlichen Rahmens der Datenlagerung auf.

Die vermehrte Nachfrage nach Lösungen für genau diese Fragen hat in der jüngsten Vergangenheit zu einer ganzen Reihe von neuen Angeboten und Technologien geführt, die hier weiterhelfen können. So lassen sich z.B. personenbezogene Daten für die Speicherung und Aufbereitung anonymisieren und sensible Daten, die Rückschluss auf das wertvolle Know How des Anbieters zulassen mit diversen Techniken verschlüsseln. Auch die Nachfrage nach beispielsweise Cloudspeicherdiensten, welche die Daten rechtlich sicher in Europa bzw. sogar Deutschland lagern findet ein immer größeres Echo bei den Anbietern.

 

Fazit: jetzt Potentiale nutzen!

All diese Entwicklungen verbunden mit den enormen Möglichkeiten, die sich auf Seite der Anbieter von webbasierten Anwendungen im Vergleich zu den traditionellen lokalen Anwendungen auftun macht es für Anbieter von Industriegeräten und –anwendungen aller Art auf jeden Fall zu einem lohnenswerten Unterfangen, in der Fabrikhalle einmal genauer hinzuschauen und zu hinterfragen – im Zweifel mit einem Partner, der sich konzeptionell und technologisch auskennt.